Marcel Vogler, Executive Director Transport der Nagel-Group
Herr Vogler, der Fahrermangel ist ein allgegenwärtiges Problem, es wird auch zunehmend schwieriger, Fachkräfte für die Logistik zu finden. Wie erklären Sie sich die Situation?
Die COVID-19- Pandemie war in vielen Bereichen ein Beschleuniger für bekannte Entwicklungen. Als die Volumina in bestimmten Branchen im vergangenen Jahr eingebrochen sind, sind Tausende von Fahrern und Logistikmitarbeitern, die in Kurzarbeit geschickt wurden oder für die übergangsweise gar keine Beschäftigung möglich war, vorzeitig und unwiderruflich aus dem Markt ausgeschieden. Sie haben andere Jobs gefunden, die nun attraktiver erscheinen. Bei Fahrerinnen und Fahrern gilt zusätzlich: Der Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie führt zu weniger Mobilitäts- und Reisebereitschaft und schränkt die Verfügbarkeit von ausländischen Mitarbeitern für den europäischen Markt weiter ein. Noch nie war der Fachkräfte- und Fahrermangel in der Logistik so spürbar wie jetzt. Der Wettbewerb um diese wertvollen Mitarbeiter ist in ganz Europa entbrannt.
Was erwarten Sie für das anstehende Weihnachtsgeschäft?
Die globalen Warenströme sind aktuell massiv beeinträchtigt: in nahezu allen Bereichen erleben wir Lieferengpässe, diese führen zu langen Lieferzeiten, erschweren die Planbarkeit und bringen extreme Preissteigerungen mit sich. Die Lebensmittellogistik und das bevorstehende Weihnachtsgeschäft mit dem bekannten, massiven Volumenpeak sind davon besonders betroffen. Bereits im Sommer wurden die sonst aus dem Weihnachtsgeschäft bekannten Volumen übertroffen.
Die zur Verfügung stehenden Kapazitäten haben hier kaum ausgereicht, um die Nachfrageseite so zuverlässig wie gewohnt zu bedienen. Die Volumina steigen weiter, der tatsächliche Bedarf im vierten Quartal 2021 kann nur vermutet werden. Sicher ist, er wird historisch hoch sein. Sicher ist zudem auch: Die kurzfristigen Maßnahmen werden den Bedarf nicht vollständig decken können. Das Weihnachtsgeschäft 2021 wird herausfordernd wie nie.
Wie reagieren Sie auf die Situation? Ist eine Verbesserung der Lage in Sicht?
Die Perspektiven sind leider ernüchternd. Besonders im Hinblick auf den Fahrermangel: Die Internationale Straßentransportunion (IRU) prognostiziert in ihrer jüngsten Studie eine Lücke von 185.000 Fahrern in Deutschland bis zum Jahr 2027. Aktuell fehlen laut der Studie mindestens 60.000 Fahrer. Die Situation in Großbritannien zeigt uns aktuell ganz deutlich, wohin dies führen kann. Wir müssen für die Logistik und für uns als Arbeitgeber noch stärker werben und Menschen davon überzeugen, dass es ein spannender Beruf in einer systemrelevanten Branche ist. Bei der man als Fahrer gut verdienen kann und eine für die Gesellschaft eminent wichtige Aufgabe erfüllt. Dies muss irgendwann auch in der Mitte der Gesellschaft so gesehen werden, derzeit sind Kosten für die Logistik auch beim Endkunden häufig nicht vermittelbar. Für eine stabile Lieferkette und für perspektivisch auch eine klimaneutrale Logistik muss hier ein anderes Verständnis entstehen. Das wird eine Aufgabe, die wir als Branche gemeinsam mit unseren Kunden angehen müssen.
Wie schaut die Nagel-Group auf die anstehenden Wochen?
Zuverlässige Lieferketten für eine der wichtigsten Branchen – den Lebensmittelmarkt – sicherzustellen, treibt uns heute wie auch seit Jahrzehnten an. Als Nagel-Group haben wir unsere Prioritäten angepasst und setzen für dieses zweite Halbjahr alle zentral und dezentral verfügbaren Ressourcen zielgerichtet und fokussiert ein, um dieses Ziel auch in dieser historischen Weihnachtssaison zu erfüllen. Es wird nicht einfach, aber wir werden alles tun, um leere Regalreihen in den Supermärkten zu verhindern.